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→ Die „romanischen“ Westportale des Bremer Doms – wahrscheinlich aus der Zeit der Spätgotik

Die frühgotische Einwölbung des Bremer Doms

Vielfalt an Gewölben

Im 13. Jahrhundert wurden zunächst die Westtürme errichtet und der Westchor eingewölbt, dann die übrige Kirche eingewölbt und dabei die oberen Wandpartien des Chors und die Obergaden erneuert. Die dabei westlich des Langhauses errichteten Gewölbe waren allesamt romanisch: Die Erdgeschosse der Türme und das jeweils eine Joch zwischen Turm und Seitenschiff erhielten Kreuzgratgewölbe, ebenso das westliche der beiden Joche über dem Westchor, allerdings im Westchor und den südlichen Räumen mit spitzen Gurt- und Schildbögen. Das östliche Joch über dem Westchor hat sehr kräftige Bandrippen, ebenfalls mit spitzen bandförmigen Gurt- und Schildbögen.
Die anschließend über Langhaus, Ostchor und Querhaus errichteten Gewölbe sind deutlich moderner, weisen aber zwei sehr unterschiedliche Grundtypen auf, in jeweils zwei Varianten.

Zwar ist anzunehmen, dass wenigstens das Mittelschiff des Langhauses nach dessen Seitenschiffen eingewölbt wurde, aber als ein am 18. März 1224 von Papst Honorius III. genehmigter Ablass die Finanzierung der Arbeiten erleichterte, 1 +  2 gab es sowohl für die Seitenschiffsgewölbe als auch für die Mittelschiffsgewölbe schon Vorbilder in gut erreichbar geringer Entfernung. Beide lassen sich auf französische Vorbilder zurückführen, die für das Mittelschiff möglicherweise sogar älter sind als für die Seitenschiffe, genau genommen als für das frühgotisch erhaltene Südseitenschiff.

Regional gesehen, gehen die stark gebusten Rippengewölbe des Südseitenschiffs auf das Vorbild der seit dem frühen 13. Jahrhundert errichteten Kirche des westfälischen Zisterzienserklosters Marienfeld 3 +  4 zurück, gestiftet unter anderem von Bernhard zur Lippe, dem Vater des Erzbischofs Gerhard II.

Die sechsrippigen Doppeljoche des Mittelschiffs haben auffällige Ähnlichkeit mit den Gewölben, die nach Errichtung eines provisorischen Daches 1220/1221 (d) in das Mittelschiff der im 11. Jahrhundert errichteten Prämonstratenserkirche Unser Lieben Frauen in Magdeburg eingezogen wurden.5

Bremer Dom: Orgelempore

Bremer Dom: zwischen Südseitenschiff und Südturm

Bremer Dom: Südseitenschiff

Bremer Dom:
Vierung und Chor

Herforder Münster:
zentrales Gewölbejoch
westl. der Vierung

Die Mittelschiffsgewölbe der Magdeburger Liebfrauenkirche und des Bremer Doms

Der Magdeburger Erzbischof Albrecht von Käfernburg (geboren um 1170, Episkopat 1206–1232) hatte in Paris (und Bologna) studiert und kannte daher Bauten der frühen französischen Gotik, des Gothique primitif. Offensichtlich von diesen Eindrücken angeregt, initiierte er den Bau des gotischen Magdburger Doms. Durch Unsicherheiten beim Baubeginn (teilweise zwei Anläufe der Fundamentierung) und finanzielle Probleme schritt der Bau nur langsam voran, sodass Albrecht von seinem eigenen Projekt letztlich nur den Chorumgang mit den Radialkapellen zu sehen bekam. Als klar wurde, dass der Dombau sich lange hinziehen würde, ließ er die benachbarte, seit 1126/34 einem Prämonstratenserkloster gehörende Liebfrauenkirche zur Ersatzkathedrale herrichten, indem er in das Gemäuer aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gotische Mittelschiffsgewölbe einziehen ließ.
Das Magdeburger Prämonstratenserkloster hatte schon seit Langem intensive Beziehungen zu Frankreich. Evermod, der Probst des Klosters von 1134 (Tod Norberts von Xanten, Ordensgründer und Erzbischof von Magdeburg) bis 1154 (Einsetzung als erster Bischof von Ratzeburg) kam aus Cambrai in Nordfrankreich. Folglich dürfte die Einwölbung der Seitenschiffe mit spitzbogigen Kreuzgratgewölben irgendwann zwischen Mitte des 12. Jahrhunderts und dem Amtsantritt Albrechts von Käfernburg vollzogen worden sein.
Die unter Albrecht von Käfernburg eingezogenen sechsteiligen Doppeljoche des Mittelschiffs haben große Ähnlichkeit mit denen des Gothique primitif, aber im Unterschied zu den waagerechten Scheiteln der französischen Vorbilder einen leichten Stich. Vergleiche hinsichtlich des äußeren Strebewerks sind dadurch beeinträchtigt, dass dieses bei vielen der französischen Bauten später verändert wurde. Heute sieht man bei vielen eine Abstützung aller Pfeiler durch Strebebögen. An der Magdeburger Liebfrauenkirche sind die Obergaden äußerlich nur durch Strebepfeiler abgestützt, die notwendigerweise auf den Gurtbögen der Seitenschiffe stehen, aber sie werden von Strebebögen getützt, die unter den Seitenschiffsdächern verborgen sind. An den Seitenschiffaswänden finden sich ebenfalls nur an diesen Stellen Strebepfeiler, im Westteil der Südseite allerdings nicht einmal dort. Das Mauerwerk der Strebepfeiler zeigt nur bei genauem Hinsehen Unterschiede zu den romanischen Wandflächen der Hoch- und Seitenschiffswände, aber die Höhenlagen der Steine und Fugen deuten an, dass sie nicht mit den Wänden verzahnt sind. Auffälligerweise werden durch diese Strebepfeiler nur die Ecken der Doppeljoche abgestützt, deren Zwischenpfeiler aber nicht. Die Obergaden blieben im Wesentlichen unverändert, jedoch wurden innen hinter den einzelnen Wandvorlagen Nischen aus den Mauern gestemmt, um durchgängige Laufgänge zu schaffen. Anders als in Bremen liegen die Laufgänge fast auf gleicher Höhe wie die Westempore

Weder das umfangreiche Dominventar von Heiko Brandl und Christian Forster6, noch die lesenswerte Dissertation von Birthe Rogacki-Thiemann7 berücksichtigt die Liebfrauenkirche.


Westlichste Strebepfeiler
an nördli;chem Obergaden
und Seitenschiff

Magdeburg: Liebfrauenkirche, eingewölbt ab 1221 (d)

Mittelschiff

Südseitenschiff

(nördlicher) Obergaden
>mit Laufgang


Südseite: Strebepfeiler an Obergaden
und Teil des Seitenschiffs

 
 
Bremen: St. Petri Dom, eingewölbt wohl ab 1224

Mittelschiff axial

Frühgotischer Obergaden mit Laufgang auf roman. Arkade

Roman. Arkade, Lauf­gänge in geöffnetem frühgot. Ober­gaden u. spät­got. Nordwand

Obergaden mit Strebebögen

Südquerhaus von Westen

Wie die Fensterformen andeuten und Materialuntersuchungen durch Ernst Ehrhardt (zwischen 1897 und 1901) bestätigten, wurden im Bremer Dom für die Einwölbung des Mittelschiffs die Obergaden großenteils ersetzt. Allerdings sind in der Westwand des Südquerhauses neben den frühgotischen Fenstern außen Spuren eines älteren Fensters zuerkennen. Die Doppeljoche innen haben sehr große Ähnlichkeit mit denen der Magdeburger Liebfrauenkirche. Aus der zeitlichen Abfolge heraus darf sie wohl als Vorbild angesehen werden. Die äußere Abstützung erfolgt durch Strebebögen, aber wie am Magdeburger Vorbild sind nur die Ecken der Doppeljoche außen abgestützt, nicht die Zwischenpfeiler. Die Bögen zur Abstützung der Zwischenpfeiler des Chors wurden erst 1916 angefügt, als sich zeigte, dass der bei der Domerneuerung um 1900 aufgesetzte Vierungsturm das Gebäude überlastete.

In manchen gedruckten Beschreibungen des Bremer Doms ist erwähnt, dass durch den nachträglichen Anbau der Kapellenzeile die Fialen der Strebebögen aus der Mitte der Seitenschiffsdächer kommen, aber keine erwähnt die außergewöhnliche Verteilung.

Deutliche Unterschiede zwischen beiden Kirchen zeigt die Führung der Laufgänge:
In Magdeburg sind die Vorlagen der gotischen Gewölbe oberhalb der romanischen Arkadenbögen durch eine Spitzbogenarkade verbunden, der alten Arkade vorgelagert. Diese Spitzbögen tragen die Laufgänge. An den Gewölbevorlagen sind aus den Hochschiffswänden Nischen herausgehauen worden, durch die der Laufgang jeweils hinten um die Gewölbevorlage herum geleitet wird.
In Bremen nehmen die Hochschiffswände infolge ihrer Erneuerung nur die Außenseiten der Arkaden ein. Auf deren Innenseiten verlaufen die Laufgänge. In ähnlicher Weise ist der Laufgang um den Chor angelegt, nur dass er hier auf der Innenseite der Außenwände verläuft. Die Seitenschiffsarme haben keine Laufgänge. Auf der Westseite des Südquerhauses ist der Rest eines romanischen Fensterbogens zu erkennen. Außergewöhnlich in den Wandaußenseiten des Südquerhauses sind die giebelähnlich geformten (aber kaum vorstehenden) Backsteineinlagen über den frühgotischen Fenstern.


Zweitwestlichster Bogen der Südarkade,
links Jochecke, rechts Zwischenpfeiler

Zu vergleichen ist weiterhin der Einsatz der Rundbogenfriese im Inneren. In Magdeburg zieren sie die die vorgelagerten Spitzbogenarkaden.
In Bremen befinden sie sich an den romanischen Arkaden und an den Außenwänden von Querhausarmen un Chor. Obwohl sie optisch mit der Form der Arkaden harmonieren, wurden sie offensichtlich erst bei der frühgotischen Einwölbung angebracht. Die Lage ihrer Bögen ist auf die Lisenen an den Pfeilern abgestimmt. Deren Breite wiederum berücksichtigt die Anzahl der ihnen vorgelagerten Gewölbedienste: An den Ecken der Doppeljoche mit drei Gewölbediensten sind diese Lisenen etwa 80 cm breit, an den Zwischenpfeilern mit einem Gewölbedienst etwa 8 cm schmaler, also um 72 cm breit.

Bei der Anlage des hohen spätgotischen Nordseitenschiffs ab 1502 gab es mehrere Rückgriffe auf frühgotische Teile der Kathedrale: Es wurden frühgotische Kapitelle wiederverwendet, die neue Nordwand erhielt zwischen unterer und oberer Fensterreihe einen Rundbogenfries, und auf den Sohlbänken der oberen Fensterreihe wurde ein Laufgang angelegt.

Französische Vorbilder

In Frankreich hat die Kathedrale von Senlis ein wie in Bremen angeordnetes Strebewerk. Die Positionen der die Bögen tragenden Pfeiler stammen zwar aus den 1170er Jahren, aber die Gewölbe wurden im 15. Jahrhundert nach einem Großbrand erneuert und dabei wohl höher gelegt. Die ältesten spitzbogigen Doppeljoche mit sechs Rippen sind in der Kathedrale von Sens erhalten, Baubeginn wohl 1134, Fertigstellung des Langhauses um 1168. Binnenchor und Mittelschiff der Abteikirche Saint-Denis, deren Chorumgang 1140 entscheidend bei der Entwicklung der Gotik des französischen Kronlandes war, wurden schon Anfang des 13. Jahrhunderts ersetzt.
 
 
Mittelschiff der Kathedrale
von Sens

Chorobergaden der Kathedrale von Senlis,
Doppel­joche mit Schatten­wurf der Strebe­bögen,
das rechte stark vom Treppen­turm verdeckt

Chorgewölbe der Kathedrale
von Senlis, im 16. Jh.
in alter Struktur erneuert
 

In Westfrankreich wurden in der Kathedrale von Angers statt der in der romanischen Architektur Westfrankreichs beliebten (ungegliederten) Kuppeln um die Mitte des 12. Jahrhunderts erstmals stark gebuste Kreuzrippengewölbe errichtet, sogenannte Domikalgewölbe. Dies gilt als Ausgangspunkt der Angevinischen Gotik (Gothique angevin, auchStyle planagenêt). Zu der Stilbezeichnung Gotik ist allerdings festzustellen, dass wenigstens bei den frühen Bauten (bzw. Bauphasen) die innovativen Rippengewölbe in Verbindung mit rundbogigen Fenstern und Portalen errichtet wurden, diese Bauten, stünden sie in Deutschland, also wahrscheinllich der Spätromanik zugerechnet würden.
In der Kathedrale von Angers haben die Joche nur vier Rippen. Joche mit acht Rippen sind in Westfrankreich nicht selten, Scheitelringe, wie sie in Westfalen beliebt wurden, allerdings ziemlich selten.
Ein Beispiel ist die Kirche Sainte-Trinitè in Angers, errichtet im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts9, ein weiteres die Abteikirche Saint-Pierre in Airvault, deren Tonnengewölbe Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts durch Rippengewölbe ersetzt wurden.10 Anders als an Kathedrale und Sainte-Trinité in Angers und anders als in der Kathedrale von Poitiers gehören in Airvault die Rundbogenfenster offensichtlich zur romanischen Phase, hier mit den Tonnengewölben. Der Einbau von Rippengewölben geschah in Verbindung mit der Anfügung der Radialkapellen an den Chorumgang. Der Chorumgang selber hat noch Rundbogenfenster und sein Unterbau einfache Rundbögen, die Radialkapellen haben Spitzbogenfenster und ihre Unterbauten gelappte Rundbögen.

Sainte-Trinité, Angers

Sainte-Trinité, Angers

Klosterkirche Marienfeld

Lippstadt: Vie­rung der Gro­ßen Marienkirche


Fußnoten:

1 – Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler: Nordwestdeutschland (1912), S. 93/94

2 – Bremisches Urkundenbuch – Urkunden bis 1300, 1. Band (1863), Lieferung 2-3, S. 152–, Urkunde Nr. 129 (Lateran, 18. März 1224 (XV. [ante] kalendas Aprilis, pontificatus nostri anno octavo))

3 – Georg Dehio Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler:
Nordrhein-Westfalen II · Westfalen.
Dehio Vereinigung.
Deutscher Kunstverlag 2016, S. 399 ff., Harsewinkel → Marienfeld

4 – Holger Kempkens: Bernhard II. zur Lippe und die Architektur der Abteikirche Marienfeld.
In: Lippe und Livland, Mittelalterliche Herrschaftsbildung im Zeichen der Rose,
Jutta Prieur (Hg.): Ergebnisse der Tagung „Lippe und Livland“ Detmold und Lemgo (2006),
(= Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe e.V., Bd. 82). Bielefeld (2008), S. 103-124.

5 – Leonhard Helten / Annegret Labs (Hg.)):
Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg
– Die Architektur des KIrchenbaues vom 11. bis 13. Jahrhundert
.
Mitteldeutscher Verlag 2021.
→ insbes. Aufsätze von Annegret Laabs und Frank Höhn

6 – Heiko Brandl, Christian Forster:
Der Dom zu Magdeburg. Band 1: Architektur.,
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2011,

7 – Birte Rogacki-Thiemann:
Der Magdeburger Dom St. Mauritius et St. Katharina – Beiträge zu seiner Baugeschichte 1207 bis 1567.
Berliner beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 6
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007

8 – Georg Dehio Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler:
Bremen · Niedersachsen.
Dehio Vereinigung.
Deutscher Kunstverlag, München 1992, S. 6–14.

9 – Base Mérimée, PA00108879, Angers, Église de la Trinité

10 – Base Mérimée, PA00101165, Airvault, Ancienne abbaye Saint-Pierre


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