. Stadtkirche Arneburg – Indizien zur Baugeschichte

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Stadtkirche Arneburg – Indizien zur Baugeschichte

Unter König Heinrich I. wurde hier um 925 eine Grenzburg angelegt.
Von dem 981 durch Graf Brun von Arneburg gegründeten Benediktinerkloster St. Mariae und Thomae
wurden archäologisch keine Spuren gefunden.
997 wurde der Ort von Slawen zerstört, die mit dem Aufstand von 985 ihre Unabhängigkeit zurückerlangt hatten.
Für 1006 wird der Wiederaufbau der Burg erwähnt, für 1025 ein Burgwart.
Indem sich der Hevellerfürst Heinrich Pribislaw spätestens 1125 dem Reich zuwandte und sein Land christianisieren ließ,
hörte das altmärkische Elbufer auf, gefährdetes Grenzgebiet zu sein.
1160 gelangte Arneburg in den Besitz Albrechts des Bären und wurde zu so etwas wie einer Nebenresidenz der Askanier.

Ein Stadtbrand im Jahr 1767 zerstörte die Kirche, die dann 1773/1774 wiederaufgebaut wurde, und alle schriftlichen Unterlangen im Ort.

Der überbreite Westturm der Arneburger Stadtkirche St. Georg kann daher in seiner ersten Form eine Patronatsloge beherbergt haben.
Die frühe Ausstattung mit dem Turm macht wiederum verständlich, warum sie bei der Erweiterung im frühen 13. Jahrhundert
nach Osten verlängert wurde, wodurch sie seither sehr nahe an den Steilhang reicht.

Die Baugeschichte der eigentlichen Kirche lässt sich recht eindeutig erschließen.
Die Verteilung der Materialien und Mauerverbände im Turm gibt hingegen Rätsel auf,
so dass sich seine Baugeschichte nur als Hypothese formulieren lässt,
bzw. hier mehrere, etwas unterschiedliche Hypothesen zu erwägen sind.


Langhaus, Querhaus und Chor:

Romanisches Langhaus:
  
Das älteste Außenmauerwerk der Kirche ist das des Langhauses, beiderseits bis etwa 70 cm unter den Stichbögen der Barockfenster,
gegen das unregelmäßige Gemäuer oberhalb großenteils durch eine Lage hochkant stehender Backsteinbinder getrennt.
Feldsteine mit möglichst geringer Rundung und möglichst gleichen Größen bilden regelmäßige Lagen.
Die Verwendung kleiner Füllsteine in den Fugen ist gering.
Auf der Nordseite ist der Mauerverband zwischen westlichem Barockfenster und Turm weniger ordentlich,
auf der Südseite ist er nur dort wirklich ordentlich, weiter östlich teilweise recht wild.
Es sind die Längswände eines Rechtecksaals.
Zwei seiner ursprünglichen Wandöffnungen sind etwas östlich der Mitte der Nordwand zu erkennen, aber vermauert,
ein typisch romanisches Fenster, rundbogig, hoch gelegen und klein, und ein recht schmales Rundbogenportal.
Über dem Portalbogen gibt es eine unvollständige Flachschicht.


Langhaus und Querhaus von NordenMP

Querhaus und Chor von Süden

Chor von Osten

Rundbögen im KirchenraumWM

Querhaus und Chor:

Durch Baufugen getrennt, schließen östlich an diesen ältesten Teil das Querhaus und der rechteckig schließende Chor an,
beide offensichtlich zusammen in einer Bauphase errichtet. Das Feldsteinmauerwerk ist ziemlich lagenhaft, aber es enthält sehr unterschiedliche Steingrößen.
Oben sind die Mauern hier mit Kreuzbogenfriesen abgeschlossen, teilweise zu zwei ineinander verschlungenen Zickzacklinien auf senkrechten Basen vereinfacht.
Die Friese sparen die Mauerecken aus, dort sitzen recht grobe Feldsteine.
In den Stirnwänden des Querhauses befinden sich rundbogige Stufenportale mit Flachschichten über den Außenbögen.
Die Flachschicht des südlichen Querhausportals besteht in typischer Weise aus liegenden Steinen, die Flachschicht des nördlichen Querhausportals in atypischer Weise aus hochkant gesetzten kleinen Steinen.
Die Fenster, je zwei in den Stirnwänden des Querhauses und den Seitenwänden des Chors, je eines in den Ostwänden des Querhauses
und eine gestaffelte Dreifenstergruppe in der Ostwand des Chors, haben in der äußeren Wandebene leicht gespitzte, innen aber runde Bögen aus behauenem Feldstein.
Backsteinstellen in den Seiten und zwischen den drei Ostfenstern erwecken den Eindruck von Reparaturmaßnahmen.

Der Innenraum zeigt keine gotischen Formen. Zwei breite Rundbögen teilen ihn in Schiff, Querhaus und Chor. Es gibt also keine ausgeschiedene Vierung.
An beiden Seiten des Schiffs erstrecken sich große Gemeindeemporen ("Preechen"), wie für protestantische Kirchenräume des 17. und 18. Jahrhunderts üblich, Vgl. Abschnitt "Jüngere Teile".

Schlussfolgerungen:

Dass der Fries dem mittleren der drei Ostfenster direkt aufsitzt, verdeutlicht, dass er nicht Ausdruck einer Mauererhöhung ist.
Schon der Mauerverband und die Flachschichten weisen auf das frühe 13. Jahrhundert als Bauzeit von Chor und Querhaus.
Die Spitzbögen der Fenster können als Vorbild das östliche Obergadenpaar des Braunschweiger Doms (um 1200) zum Vorbild haben, wie auch für die Kirche in Winterfeld (Dendrodaten 1204/1206) anzunehmen ist, oder den Beginn des gotischen Magdeburger Domprojektes (ab 1209).
Die Verbindung mit Rundbögen im Inneren verweist mehr auf Braunschweig, die Spitzbogenfriese mehr auf die allgemeine Hinwendung zur Gotik in MagdeburgWP.
Verglichen der Zisterzienserkirche von Kloster ZinnaWP, bleibt die Stadtkirche von Arneburg sowohl stilistisch als auch in der Ausführung zurück.
Die Klosterkirche wurde allerdings Andreas Cante zufolge zum größten Teil (alles außer den Nebenkapellen) erst nach der Zwischenweihe von 1226 errichtet.
Da konnten die Ostteile der Arneburger Kirche schon weitgehend fertiggestellt worden sein.

Jüngere Teile:

Nach dem unregelmäßigen Mauerverband zu schließen wohl erst in der Spätgotik wurde das Langhaus auf die Höhe der östlichen Teile gebracht.
Dabei erhielt es neue hoch ragende Fenster. Von deren Backsteinlaibungen sind die Seiten wohl großenteils erhalten, jedoch erhielten sie beim Wiederaufbau der Georsgkirche nach dem Brand von 1767 neue obere Abschlüsse in Form von Segmentbögen
und wurden nach unten verlängert.
In der Mitte der Nordwand gab es ein backsteingerahmtes Rundfenster, ganz im oberen, jüngeren Mauerwerk gelegen.


Turm:

Beschreibung:

Der querrechteckige Turm steht westlich vor dem Langhaus und steht zu beiden Seiten vor.
Er besteht aus einem Sockelgeschoss, einem Schaft, einem neugotischen Glockengeschoss und einem Walmdach mit Dachreiter.
Das Sockelgeschoss besteht fast ganz aus Feldsteinmauerwerk. An den Seitenwänden ist es oben durch eine bis drei Lagen braungelber Ziegelsteine begrenzt.
Diese Lage bzw. bei dreien die oberste Lage ist schräg gestellt und vermittelt einen Rücksprung der Wand. Im östlichen Teil beider Seitenwände ist das Mauerwerk sehr regelmäßig.
In den westlichen Teilen und in der Westwand ist es immer noch lagenhaft, aber aus Steinen sehr unterschiedlicher Größe
und mit einzelnen besonders großen und unreglmäßig geformten gespaltenen Findlingen.
In dem schmalen Streifen südlicher unterer Ostwand liegt der oberste Stein des Turmmauerwerks dem Langhausmauerwerk auf,
das hier erstaunlicherweise nach außen in die Turmwand abknickt.
Das Westportal wurde 1868 neu eingefügt.

Die Mauerecken des Schaftes sind an den Seitenwänden, nicht aber an West- und Ostwand durch etwa 90 cm breite flache Lisenen betont.
Das neugotische Glockengeschoss ist an allen vier Wänden mit derartigen Lisenen versehen.

In der Mitte beider Seitenwände des Schaftes gibt es eine senkrechte Materialgrenze, die der Mauerwerksgrenze des Sockelgeschosses aufsitzt
und unregelmäßig wie ein akzidenteller Mauerriss verläuft. Östlich dieser Grenze besteht der Turm ganz aus Backstein in mittelalterlichem Verband und mittelalterlichem Format.
Westlich der Grenze dominiert Feldsteinmauerwerk, gegliedert durch Gruppen von Backsteinlagen.
Knapp unter der Oberkante des Schaftes sind auch die Westteile der Seitenwände aus Backstein,
aber die eigentlich durchlaufenden Lagen sind durch einen Riss in Fortsetzung der vertikalen Materialgrenze gebrochen.
An Süd- und Westwand gibt es in dieser Höhe zwei Backsteinzonen, durch ein schmales Band aus Feldsteinmauerwerk getrennt.
An der Nordwand ist die obere backsteinzone nicht in dieser Weise unterteilt.

Im Abstand von etwa 80 cm gibt es an den oberen drei Vierteln des Schaftes eine auf der Nordseite eher gerade,
auf der Südseite stark verzahnte Baunaht, westlich von der hier nur Backstein liegt.
Wie in gleicher Höhenlage in den westlichen Lisenen ist sein Format etwas höher, als in der östlichen Turmhälfte.
Ebenfalls aus diesem etwas höheren Format läuft ein Band von vier Lagen Backstein durch westliche Seitenwände und Westwand des Turms.
In beiden Seitenwänden git es je zwei rechteckige Fenster knapp westlich des Risses,
die oberen etwas größer und mit breiten Backsteineinfassungen, die unteren etwas kleiner mit schmalen Backsteineinfassungen.
Drei dieser Einfassungen sind durch den Riss vom östlichen Backsteinmauerwerk getrennt, eine ist mit ihm verzahnt.

Im unteren Viertel des Schaftes bestehen die westlichen Lisenen überwiegend aus Feldstein.
Das Backsteinmauerwerk der Ostwand reicht auf der Nordseite abgesehen vom Ersatz einzelner Steine bruchlos bis an die Mauerecke.
An der Südecke kann es insgesamt angestückt sein, jedoch ist die Bewertung hier durch die Erneuerung aller Fugen beeinträchtigt.


Turm von Nordwesten,
hinten älterer, vorne jüngerer TeilMP

Turm in Höhe des Schiffsdachs
von NordostenMP

Turm von Südosten

Turm von SüdwestenMP

Schlussfolgerung:

Im Alter zwischen Langhaus und Chor kann das Untergeschoss des Turms liegen, das nur in seiner Osthälfte original erhalten ist.
Die Gestalt erster Obergeschosse ist unbekannt.
Noch im Mittelalter stürzte der Turm zur Hälfte ein. Ursache kann eine Schwäche des Sockelgeschosses gewesen sein.
Der Ersatz seines Vorderteils kann aber auch wegen Schäden durch herabstürzendes Material des Schaftes erforderlich geworden sein.
Beim Wiederaufbau in einer Kombination aus Feldstein- und Backstein wurden möglicherweise die westlichen Lisenen nach dem Vorbild der östlichen gestaltet.
Als andere Möglichkeit können auch östlichen Lisenen erst beim Wiederaufbau angefügt worden sein.
Wegen unzureichender Verzahnung der wiederaufgebauten Turmhälfte mit der älteren kam es im weiteren Verlauf zu Rissen
in erst am Ende des Wiederaufbaus errichtetem Backsteingemäuer oberhalb der Feldsteinlagen.

Zeitabstände:

Der Farbunterschied zwischen den das Sockelgeschoss abschließenden Backsteinlagen und dem Backstein des Turmschaftes kann Ausdruck verschiedener Bauphasen sein.
Er kann aber auch ausdrücken, dass die gerade Backsteinkante des Sockelgeschosses möglichst wenig von diesem abstechen sollte. Man konnte es zusätzlich ockerfarben schlämmen.
Der rote Turmschaft konnte einen willkommenen Kontrast dazu bilden.

Die von Ost nach West dorchgemauerten Backsteinlagen im oberen Bereich des Turmschaftes können für einen Teileinsturz noch während der Bauzeit sprechen.
Andererseits kann der Unterschied im Backsteinformat zwischen dem Ostteil und Teilen des Reparaturmauerwerks für einen Zeitabstand von Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten sprechen.
Im friesischen Varel erhielt eine Feldsteinkirche um 1200 ein Westturmpaar aus Backstein mit Patronatsloge. Auch sie wurde etwas später nach Osten zur Kreuzkirche erweitert.


Illustrationen:
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Die mit "MP" gekennzeichneten Bider sind Ausschnitte von Martin Poley (Wismar) zur Verfügung gestellter Bilder.
Das mit "WM" gekennzeichnete Bild ist aus WM Commons und dorthin verlinkt.
Die übrigen Bilder sind vom Autor des Textes aufgenommen und auch in WM Commons verfügbar.


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